ERINNERUNGSPARLAMENT AM 04.05.2022 IN KIEL
Das haben wir nicht erwartet: mehr als 100 Besucher*innen kamen zum dänisch-deutschen Erinnerungsparlament am 4. Mai nach Kiel! Es war ein besonderer Tag, der alle Vorstellungen übertraf, was man von einer öffentlichen Debatte über die gemeinsame oder auch geteilte Geschichte zweier Länder hätte erwarten können. Denn die Perspektive auf unsere dänisch-deutsche Geschichte war und ist verschieden bis heute, je nachdem von welcher Seite der Grenze man sie betrachtet.
Dennoch haben die Studierenden der SDU (Süddänische Universität Odense) und der CAU (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) in ihren vorbereitenden Ausschüssen gemeinsame Thesen erarbeitet, die lebhaft und kontrovers mit dem generationsübergreifenden Publikum diskutiert wurden.
Geschichte, so hatten wir es angekündigt, wird nicht aus einem "brennenden Dornbusch" überliefert und ist nicht in "Stein gemeißelt". Geschichtserzählung ist ein fortwährender Prozess, an dem Menschen mitwirken und immer wieder auch zu neuen Erkenntnissen kommen. Das zeigte sich auf dem Erinnerungsparlament PerspektivRegion in Kiel: Die dänischen und deutschen Teilnehmenden aus unterschiedlichen Generationen, im Alter von 20 bis 90 Jahren, diskutierten voller Leidenschaft darüber, welche hartnäckigen historischen Erzählungen überwunden werden und welche Erkenntnisse dringend neu bearbeitet und kommuniziert werden müssen.
Gibt es ein Ergebnis der Debatte, werdet ihr fragen? JA, das gibt es tatsächlich: Das Erinnerungsparlament Perspektivregion hat empfohlen, ein gemeinsames dänisch-deutsches Geschichtsbuch zu verfassen! Die Ergebnisse aller Ausschüsse findet ihr hier.
Eröffnet wurde das Parlament mit Grußworten von Hans-Werner Tovar, Stadtpräsident Kiel; Monika Heinold, Stellvertretende Ministerpräsidentin und Finanzminister Schleswig-Holstein und Stephanie Lose, Süddänische Regionsratvorsitzende, die wir euch gern zur Verfügung stellen. Dabei seht ihr, wie sehr auch die politischen Vertretungen beider Länder und unserer Landeshauptstadt den grenzüberschreitenden Dialog über Vergangenheit und Zukunft unterstützen.
Ganz besonders danken wir für die wissenschaftliche Erarbeitung und Unterstützung bei der Durchführung des Erinnerungsparlamentes dem Historischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität Kiel, namentlich Herrn Prof. Dr. Oliver Auge, Herrn Dr. Christian Hoffarth, und dem Historischen Institut der Süddänischen Universität Odense, namentlich Herrn Prof. Dr. Thomas Wegener-Friis.
Nicht zuletzt möchten wir uns bei allen Expert*innen bedanken, die mit ihrem Wissen und ihren Erkenntnissen die Ausschüsse des Erinnerungsparlamentes beraten haben:
Lars Erik Bethge, Simon Faber, Klaus Bjørn Jacobsen, Hinrich Jürgensen, Prof. Dr. Martin Klatt, Prof. Dr. Jørgen Kühl, Prof. Dr. Per Grau Møller, Dr. Gerret Liebing Schlaber, Frode Sørensen, Dr. Caroline Elisabeth Weber
Und schließlich danken wir den Studierenden, die in fünftägiger intensiver Arbeit die öffentliche Debatte vorbereitet und mit ihren Präsentationen der Thesen zu einer lebendigen Diskussion und einem Perspektivwechsel beigetragen haben:
CAU: Tim-Marcel Boyens, Malte Kirchhof, Jacqueline Leder, Robin Prieß, Deborah Rohne, Felix Christian Rudolph, Jonah Schmidtke, Hanna Schulte
SDU: Lisa Andreas, Pernille Harderup Guldberg, Mikkel Højsgaard Engstrøm, Thomas Jespersen, Victoria P. Jørgensen, Johannah Meng Kerdil, Johanna Nijmeijer, Sarah Püringer, Svenja Rikke Reinhardt, Mette Rix Bløcher, Anne Louise Sørensen, Frederik Stammer, Cecile Vølund, Anne Wengenroth Ploug-Sørensen
Was wäre das dänisch-deutsche Erinnerungsparlament gewesen ohne die Künstler*innen? Die parlamentarische Debatte wurde begleitet von vier künstlerischen Beiträgen:
Chili Seitz und Ute Dietz aus Kiel haben im Hof die Arbeit "unbegrenzt / unbegrænset" präsentiert. Da musste man hüpfend an der grünen Grenze überlegen, wie man sich begegnet, um einander herumkommt oder miteinander den Engpass überwindet. Es ist eben nicht immer ein Kinderspiel, sich über Grenzen zu verständigen.
Barbara Klingenberg aus Flensburg stellte ihr Projekt "Notgeldschein" vor, das Perspektivregion ein Jahr lang begleiten wird. Notgeldscheine waren 1919 zur Volksabstimmung und Grenzziehung wichtige Werbeträger, um die Bevölkerung aufzufordern, entweder dänisch oder deutsch zu werden. Die Künstlerin wirbt für etwas anderes: Sie will Geschichten von Menschen zum Leben in der Grenzregion einsammeln und hören, ob und wie der Wildschweinzaun, der zum hundertsten Jubiläum der dänisch-deutschen Grenze gezogen wurde, ihr Leben beeinträchtigt.
Paul Wiersbinski aus Berlin hinterfragt mit seiner "Heimatmaschine", eine künstliche Intelligenz, welche Muster unseren Werten und Definitionen von Heimat und Identität zugrunde liegen.
Wael Toubaji, der in Berlin und Odense lebt, zeigte mit seiner Installation aus großformatiger Zeichnung und Videoprojektion, wie groß die Vision ist, sich eine Welt ohne Grenzen und Nationen vorzustellen und von einem nomadischen Leben zu träumen.
Anne Lehmann aus Berlin hat die parlamentarische Debatte live recorded. Mit allen Wortbeiträgen schwebten ihre Zeichnungen in den Raum und hinterlassen uns ein unvergleichlich dichtes und vielschichtiges künstlerisches Protokoll dieser besonderen Veranstaltung!
Nach der leiblichen Stärkung bei Suppe, Quiche und Käsespießen klang der Tag mit einem letzten Höhepunkt im Kulturforum Kiel aus:
Wolfgang Lehmann, Videokünstler aus Stockholm, Sherif El Razzaz, Bassklarinettist und Komponist aus Kiel und Alexandra Hallen, Composer für elektronische Musik aus Kopenhagen, haben uns alle mit der Uraufführung von PARA, einer visuellen Musikperformance für Perspektivregion, in Staunen versetzt. Das waren Grenzüberschreitungen in Klang und Bild, eine wunderbar fantastische Inszenierung, die einlud, festgefahrene Vorstellungen loszulassen und von einer grenzenlosen Welt zu träumen.
Verabschiedet wurden wir mit dem unterhaltsamenProgramm der Kieler Lesebühne und ihren dänischen Gästen, der Sonderausgabe zum Erinnerungsparlament Perspektivregion. 70 Minuten lang präsentierten Björn Högsdal, Michel Kühn, Selina Seemann, Stefan Schwarck, Björn Katzur aus Kiel zusammen mit Sara Haug und Peter Dyreborg aus Kopenhagen Texte zum gemeinsamen Lebensraum Ostseeregion, zu den Beziehungen unserer beiden Länder und den Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze.
Allen Künstler*innen möchten wir für ihre Beiträge von Herzen danken! Es war toll!
Vielen Dank an alle Gäste aus Dänemark und Deutschland, die Übersetzer*innen, die Sprachhelfer*innen und an alle Mitwirkenden, die zu diesem großartigen Tag beigetragen haben!